Projekt

 

Das Forschungsprojekt

„EIKON – Das Leben griechischer Porträts”

der DFG und ANR

Rundplastische Porträts, also statuarische Darstellungen historischer Persönlichkeiten, stellen seit der Archaik ein typisches Merkmal der visuellen Kultur der antiken griechisch-römischen Welt dar. In den klassischen Altertumswissenschaften wurden griechische Porträtstatuen zunächst vor allem unter stilistischen Gesichtspunkten eingehender untersucht. Seit etwa 25 Jahren wurden sie von der Forschung jedoch auch unter anderen Aspekten studiert. So fokussierten neuere Untersuchungen auf die Typologie, Ikonographie und Botschaften der Darstellungen bestimmter Personengruppen, z.B. von Herrschern, Feldherren, Frauen oder Philosophen. Andere beschäftigten sich mit der Funktionalität dieser Statuen sei es als Weihgeschenk, Kult- oder Ehrenstatue. Ein weiteres Feld neuerer Untersuchungen stellt die Frage nach der Rezeption der Porträts durch antike Betrachter und ihrer literarischen Entwicklung im Genre der ekphrasis dar.

Hellenistische Bildnisstatue (Alexander d. Gr.?).  Archäologisches Museum Istanbul, Inv. 709. Aus Magnesia am Sipylos. (Foto: G. Paquot)

Hellenistische Bildnisstatue (Alexander d. Gr.?). Archäologisches Museum Istanbul, Inv. 709. Aus Magnesia am Sipylos. (Foto: G. Paquot)

Das Projekt EIKON greift diese Entwicklungen auf. Sein innovativer Charakter liegt aber in der bewussten Schwerpunktsetzung auf das Leben solcher Statuen nach ihrer Aufstellung, d.h. auf ihr Kommunikationspotenzial und das Verhältnis, das die gesellschaftlichen Akteure mit ihnen pflegten. Die Porträts werden so als Medien der Erinnerung und der Dauerhaftigkeit der Repräsentation ernst genommen und aus einer materiellen, räumlichen, urbanistischen, topographischen und ideellen Perspektive untersucht. Die Dauer ihrer physischen Präsenz wird in Relation zu Veränderungen in ihrem konkreten Verwendungskontext und ihrer Rezeption analysiert.

‚Porträtpraxis’ und ‚Neu-Kontextualisierung’

EIKON behandelt die Rezeptions- und Aneignungsprozesse griechischer Porträts und die medialen, religiösen und gesellschaftlichen Kontexte dieser Prozesse. Notwendigerweise integriert es deshalb zwei grundlegende, die Existenz der griechischen Porträts betreffende Bereiche: performative Handlungen und Behandlungen der Porträts (die ‚Porträtpraxis’) und die Veränderungen der Rezeptions- und Aufstellungskontexte (‚Neu-Kontextualisierung’).

Als ‚Porträtpraxis’ werden unmittelbare Formen der Nutzung, Pflege, Ergänzung, Veränderung, usw. der Porträtstatuen bezeichnet, auch der Transport in einen neuen Aufstellungskontext oder die Zerstörung. Hierzu zählen auch Nutzungen im Rahmen ritueller Handlungen.

Kontextuell werden griechische Porträts durch einen bestimmten Aufstellungsort gekennzeichnet, der als Bestandteil einer komplexen semantischen und visuellen Struktur definiert ist. Eine Statue mit Basis und Inschrift, eingebettet in einen funktionalen Kontext (Votiv / Heiligtum; Ehrung / Agora; Bestattung usw.), ist daher wahrnehmbar in räumliche und visuelle Bezüge eingebracht (angrenzende Statuen, Wegführung / Sichtachsen, erhöhte Aufstellung, architektonische Rahmungen, Aufstellung in einem bestimmten Gebäude, usw.). Ist die Porträtstatue erst einmal errichtet und bleibt stehen, so bleibt ihre Umgebung im Laufe dieses ‚Lebens’ aber nur bedingt unverändert, da ab dem Zeitpunkt der Aufstellung des Bildnisses ‚Neu-Kontextualisierungen’ beobachtet werden können. Solche Veränderungen kommen entweder in direktem Zusammenhang mit der Porträtstatue selbst vor, und lenken die Aufmerksamkeit (durch Umstellung, sekundäre architektonische Rahmung, Hinzufügung weiterer Statuen, Radierung oder Erneuerung der Inschrift, usw.) in spezifischer Weise auf diese. Oder es können sich unabhängig von der Porträtstatue selbst Rahmenbedingungen ihrer Wahrnehmung ändern durch Neugestaltungen der Aufstellungsumgebung (Vergrößerung des benachbarten Tempels, Aufstellung einer Statuengruppe in direkter Nähe, Stoa im Hintergrund, usw.). Indirekte Formen der Neu-Kontextualisierung von Porträts werden zudem durch Darstellungen in anderen Medien vorgenommen, sei es durch die Literatur, Geschichtsschreibung (Beschreibungen, Nennung als exempla) oder durch Kopien.

Zeitlicher Rahmen und Materialcorpus

Die Studie setzt ihren zeitlichen Rahmen am Anfang des 5. Jhs. v. Chr., da ab dieser Zeit die physiognomische Individualisierung zu einem wichtigen Phänomen der Semantik von Porträts wird und diese damit auch ihre Bedeutung im politischen Raum der Polis verändern. Der anschließende Zeitraum vom 4. bis zum 1. Jh. v. Chr. bildet die Blütezeit griechischer Porträts besonders in Form von Ehrenstatuen, die damals in großer Anzahl das Aussehen öffentlicher Plätze und Heiligtümer prägten. Die römische Kaiserzeit wird zunächst nicht untersucht, zumal hier bereits deutlich mehr Forschungen vorliegen bzw. laufen und das Phänomen der Kopienanfertigung einen völlig anderen Kontext herstellt (der indes eigener Studien bedürfte). Das Projekt EIKON nimmt das ‚Leben’ antiker Bildnisse anhand materiell-skulpturaler, epigraphischer, archäologischer und literarischer Zeugnisse vor allem an beispielhaften Orte der griechischen Welt in den Blick, die reiches, gut dokumentiertes und deshalb auch kontextuell auswertbares Material bieten (besonders Delos, Athen, die panhellenischen Heiligtümer und Pergamon), doch sollen auch repräsentative Einzelfälle und Phänomene in weiterem Rahmen erschlossen werden.