Die Porträts von Delos

Delos_Herbin

Basis der Statue des Ofellius, letztes Viertel 2. Jh. v. Chr. Delos, „Agora des Italiens“, Nische 18, ID 1688 (Rekonstruktion: F. Herbin)

Die Insel Delos, auf der laut mythischer Überlieferung Apollon und Artemis zur Welt kamen, zeichnete sich durch eine besondere religiöse Wichtigkeit für die griechische Antike aus. Seit archaischer Zeit wurde die Herrschaft, sei sie nun real oder symbolisch, über die Heiligtümer der Insel in einem heftigen Wettstreit zwischen den Städten Naxos, Paros und Athen ausgefochten. Heute lassen sich diese Rivalitäten anhand von Ruinen der dort errichteten Monumente, darunter eine große Anzahl an Statuen und ihren Basen, fassen. Zum Beginn der Klassik und besonders im Hellenismus steigerte sich dieses Phänomen und fächerte sich weiter auf. Städte, Herrscher, Ligen, Verbände und Privatpersonen versuchten ihren Namen und ihr Bild mit der heiligen Insel in Verbindung zu bringen, anhand ihrer eusebeia und zum Zwecke ihrer „Propaganda“. Hunderte von Porträts, größtenteils aus Bronze, die sich nicht erhalten haben, wurden daher im öffentlichen Raum (profan oder sakral) und in privaten Räumen der Insel aufgestellt. Die Forschung zu Delos im Rahmen des Projekts EIKON strebt eine Rekonstruktion des Lebens der Porträts in diesem speziellen Kontext an. Die Erarbeitung einer Datenbank durch Jean-Sébastien Gros wird die Informationen in Verbindung mit dem Geoinformationssystem (GIS) von Delos zur Verfügung stellen.

Frédéric Herbin wird zunächst die Bestandsaufnahme sowohl der sich in situ befindenden sowie der als Streufunde zu bezeichnenden Monumente als auch der Statuenfragmente, die für ein Porträt relevant sind, übernehmen, um die Porträtpraxis auf Delos und gegebenenfalls die Rekontextualisierung von Porträts zu untersuchen. Zwei Forschungs- und Wiedererrichtungskampagnen in der archäologischen Stätte sind geplant worden (jeweils eine Kampagne 2013 und 2014), um die nötige Dokumentation für dieses Forschungsvorhaben zusammenzutragen. Tatsächlich ist das entsprechende Material (Basen und Statuenfragmente) entweder noch wenig bis schlecht untersucht oder gar unpubliziert. Jede Statue, jede Basis und jedes Monument wäre für sich schon ein eigenes Forschungsthema, allein die Vervielfachung der Beobachtungen und Analysen wird es erlauben, alle Verfahrensweisen bezüglich der griechischen Porträts auf Delos nachzuvollziehen.

Die Arbeit zu den Basen geht auch mit der systematischen Erforschung der erhaltenen Skulpturen einher, um ihren Aufstellungskontext zu präzisieren. Die „Agora des Italiens“ wurde zunächst im Hinblick auf die Wichtigkeit der Porträts in dieser engen Zusammenstellung bevorzugt. Diese waren als Repräsentation der Italiker am Ende des Hellenismus vorgesehen. Trotz der Publikation des Baukomplexes durch Étienne Lapalus 1939 und der rezenten Monographie von Monika Trümper wurden die Statuenfragmente der Agora nie in einer sinnvollen Inventarisierung zusammengefasst. Diese Arbeit der Informationsabgleichung und der Analyse von Archiv- (Karteikarten der Grabungen und Inventare) und Druckzeugnissen, durchgeführt von Annick Fenet, berührt ebenso die Geschichte der auf der Insel durchgeführten archäologischen Forschung seit 1877. Ausgehend von den so erstellten Daten – soweit dies im Rahmen der bestehenden Zeugnisse möglich ist – wird François Queyrel die Frage nach der Aufstellung der wiedergefundenen Porträts in ihrem Kontext wieder aufgreifen.